17.12.2023
Heuschreck-Orden vor 111 Jahren
Hatte der Ordensdesigner, leider ist uns sein Name nicht überliefert, etwa hellseherische Fähigkeiten? Oder warum sonst hat er den Klimawandel, eines der Hauptthemen unserer Zeit, bereits 1912 in seinem Entwurf thematisiert? Die Frage, ob es damals schon Vorahnungen zu dieser Problematik gab, können wir nicht beantworten. Aber um den Hintergrund für die ästhetisch sehr gelungene Darstellung herauszufinden, müssen wir etwas tiefer in die Heuschreck-Geschichte eintauchen.
Die Inspiration für dieses Ordensmotiv holte ich der Künstler in der 1912er Revue von Louis Scheuer, dem „Hofintendanten“ von Präsident Julius Woytt. Von 1894 an schuf Scheuer Revuen, die beim Heuschreck aufgeführt wurden und den Heuschreck-Karneval über viele Jahre hinaus maßgeblich prägten. Dabei nahm er in der Regel aktuelle politische Themen mit Schwerpunkt auf der Trierer Lokalpolitik aufs Korn. Die Bedachung der Damenschwimmanstalt, der in Trier gastierende Zirkus von und mit Buffalo Bill, Werbung auf der elektrischen Straßenbahn oder die Bestechung eines städtischen Baurats wurden musikalisch inszeniert, um nur wenige Beispiele zu nennen. Und dann kam 1912 die satirische Jahresrevue „Trierische Wirtschaft“ zur Aufführung, in der eine Fülle an Themen humoristisch thematisiert wurde. Es waren die Stadtratswahlen von 1911, verschiedene Zeppelinsysteme, die Geldentwertung, Bestrebungen zur Einführung des Deutschen Grußes (mit der rechten Hand am Hut), die Theaterzensur durch die Stadtverwaltung, ob Frauen „Krinoline oder Hosenrock“ tragen sollten und – jetzt kommt’s – die extreme Hitze des Jahres 1911. Der Orden zeigt die lachende Sonne des vorjährigen Sommers, während sich die sitzende Heuschrecke bei über 40 °C den Schweiß abwischt und ermattet die Flügel hängen lässt.
Das Dürrejahr machte den Landwirten zu schaffen, mit Ausnahme der Winzer, die bedingt durch die Rekordtemperaturen, eine kleine Ernte, jedoch in hervorragender Qualität einfuhren. Der 1911er Jahrgang an der Mosel wurde damals als einer der teuersten Weine der Welt gehandelt. Noch heute lagert manche Flasche des 1911er Mosel-Rieslings in den önologischen Schatzkammern der Händler und Weinsammler. Ob sich in dem Ordensdesign also schon eine Vorahnung auf den beginnenden Klimawandel erkennen lässt oder ob es 1911 eben nur ein besonders heißer Sommer war, der den Designer inspirierte, wissen wir nicht. Sicherlich jedoch erfreuen wir uns auch heute noch, nach 111 Jahren, an dem Anblick des künstlerisch hervorragend gelungenen Heuschreck-Ordens. Und mit der weinselig lachenden Sonne gönnen wir rückblickend den hitzegeplagten heuschrecklichen Weinliebhabern ihren 1911er Jahrhundertwein!
Text: Peter Stolz
Foto: KG Heuschreck 1848 e.V.